Mountainbike-Geometrie: Ein Leitfaden für Anfänger
Mountainbike-Geometrie hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Wir zeigen dir, wie sich die einzelnen Geometrie-Anpassungen auf das Fahrverhalten eines Bikes auswirken.
Die Geometrie ist das Herz und die Seele eines Bikes. Die Geometrie eines Bikes verrät dir nicht nur, welche Rahmengröße zu dir passt, sondern auch wie es sich bergauf und bergab bewegen und lenken lässt und sich bei Wheelies und Bunny Hops verhält. Die Komponenten werden vielleicht mit der Zeit ausgetauscht, aber die Geometrie des Rahmens bleibt bestehen. Der Schlüssel zu einer langen und glücklichen Beziehung zu deinem Bike ist die Auswahl der zu dir und deinem Fahrstil passenden Geometrie.
Interviewer: „Würdest du lieber ein Bike mit alter Geometrie und moderner Suspension oder mit moderner Geometrie und altem Fahrwerk auf einem DH Weltcup Track fahren?
Fabien Barel: „Ich würde lieber auf einem Bike mit moderner Geometrie fahren, sogar ohne Suspension …“
Ein kurzer Ausflug in die Geschichte der Mountainbike-Geometrie
Wir schreiben das Jahr 1976 in Marin County, Kalifornien. Die frühen Mountainbike-Pioniere haben ihre Beach Cruiser gepimpt, sie die Hügel hochgeschoben und gegenseitig die Zeiten gestoppt, wenn sie sich so schnell sie sich trauten, die Straßen hinuntergestürzt haben. Das war der Beginn eines neuen Zeitalters: Das erste Mountainbike-Rennen ever. Da es sich um eine komplett neue Sportart handelte, brachten schon bald die ersten Tüftler, Schweißer und Ingenieure neue Designs und Formen hervor, um das ultimative Mountainbike zu erschaffen.
Über die 1990er und frühen 2000er waren Mountainbikes noch die Underdogs des Radsports, während daran gearbeitet wurde, wie man Laufräder, Fahrwerk und Sattel am besten zusammenbringt. In den 2010ern wurde es wieder ein wenig ruhiger und die verrücktesten Entwürfe fielen unter den Tisch, weil sie sich als unzuverlässig, ineffizient und in manchen Fällen sogar als gefährlich erwiesen.
Die dadurch neu entstandene Bike-Generation wurde leistungsfähiger und verlässlicher auf längeren, ruppigeren Strecken — up- und downhill. Es dauerte nicht lange, bis die Vorlage des 1940er Beach Cruisers, an der sich die Mountainbikes dazumal noch immer orientierten, an ihre Grenzen stieß. Es war klar: Eine neue Geometrie muss her.
Moderne Mountainbike-Geometrie
In den letzten zehn Jahren hat sich die Mountainbike-Geometrie drastisch verändert und ist mit den ersten Entwürfen nicht mehr vergleichbar. Zusätzlich zu all diesen Änderungen wurden die Geometrietabellen erweitert und enthalten nun nicht nur Informationen über die Passform des Bikes, sondern auch für die verschiedenen Fahrstile. Auf den ersten Blick mögen diese Tabellen mit ihren vielen Zahlen einschüchternd wirken, doch mit unserem Leitfaden helfen wir dir durch den Zahlendschungel.
Mountainbike-Geometrie erklärt:
Wir sind uns sicher, dass du am meisten Spaß mit einem Bike haben wirst, das zu dir, deinem Fahrstil und dem Terrain, auf dem du unterwegs bist, passt. Unsere Designer, Ingenieure und Testfahrer investieren viele Stunden in die Entwicklung eines jeden Bikes, um die beste Balance an Geometrie-Daten zu finden, damit du dich voll und ganz auf den Trail konzentrieren kannst, der vor dir liegt. Oft sieht es nach vermeintlich unbedeutenden Nuancen aus — nur minimale Abweichungen in den Zahlen. Aber wir sind der Meinung, dass in den scheinbar kleinen Details der große Unterschied liegt.
Wie weiß ich, welche Sitzrohrlänge ich brauche?
Das Sitzrohr ist das wichtigste Maß bei der Auswahl eines Bikes. Obwohl es viele Fortschritte bei der Geometrie von Mountainbikes gegeben hat, bleibt die Länge des Sitzrohrs entscheidend. Kurz gesagt: Wenn es zu lange ist, reichen deine Beine nicht bis zum Boden und wenn es zu kurz ist, kannst du nicht ordentlich treten.
All unsere Geometrie-Tabellen zeigen dir den Bereich, in dem du deine Sitzhöhe mit der mitgelieferten Sattelstütze anpassen kannst, sodass du deine Sattelposition nur noch mit einem Maßband abmessen musst. Zum Beispiel passen auf ein Medium Spectral mit 150 mm Dropper Post alle, die eine Sitzhöhe zwischen 670 und 805 mm brauchen.
Welche Sitzrohrlänge brauche ich bei einem Dropper Post?
Dieses Thema wird erst ein wenig komplexer, wenn du deinen eigenen Dropper Post verbauen willst. Nehmen wir an, du hast einen 150 mm Dropper Post, das bedeutet, du musst die Länge des Sitzrohrs, den Hub der Stütze bei vollem Auszug, die Höhe des Bunds und den Kopf der Sattelstütze berücksichtigen. Die Sitzrohre sind mit der Zeit generell kürzer geworden, um all dem Rechnung zu tragen, aber die Überlegung, welches Bike letztendlich tatsächlich passt, ist viel komplexer.
Warum ist der Reach bei Mountainbikes so wichtig?
Der Reach ist eines der neuesten Maße auf Geometrie-Tabellen, aber eines der wichtigsten, um herauslesen zu können, wie sich ein Bike auf dem Trail verhalten wird. In der Vergangenheit — und noch heute im Rennrad-Segment — wurde die Oberrohr- bzw. effektive Oberrohrlänge dafür herangezogen. Diese Kennzahl zeigt dir, wie weit das Sitzrohr vom Steuerrohr entfernt ist. Das ist vor allem dann wichtig, wenn du die meiste Zeit im Sattel sitzt.
Bei Mountainbikes hingegen zeigt dir der Reach, wie sich das Bike anfühlt, wenn du stehst, denn so verbringt man auf dem Mountainbike schließlich den spaßigen Teil der Tour. Der Reach ist die horizontale Abmessung zwischen Tretlager und Steuerrohr und zeigt ungefähr an, wo sich in stehender Position dein Oberkörper befindet.
Ändert sich der Reach bei verschiedenen Mountainbike-Disziplinen?
Grundsätzlich haben Cross-Country Bikes einen kürzeren Reach als Downhill oder Enduro Bikes. Das kommt daher, weil Cross-Country Bikes oft längere Vorbauten haben. Um das zu kompensieren, wird hier oft der Reach verkürzt. Im Vergleich zum abfahrtsorientierten Spectral mit 460 mm Reach bei Größe Medium, hat das Medium Neuron nur 433 mm. Das sieht auf den ersten Blick nach einem großen Unterschied aus, aber das Medium Neuron ist für einen 60 mm Vorbau konzipiert, während das Spectral mit 40 mm auskommt, damit die Gesamtlänge ähnlich bleibt. Für manche unserer Bikes haben wir den Reach+ eingeführt, um die kombinierte Länge aus Rahmen und Vorbau in einer Kennzahl zusammenzufassen.
Wie viel unterscheidet sich der Reach von Person zu Person?
Der Reach spielt bei der Auswahl des passenden Bikes eine große Rolle. Viele Rider präferieren entweder ein längeres oder kürzeres Bike. Ein längeres Bike verhält sich auf dem Trail laufruhiger, wenn du schnell unterwegs bist, kommt dafür aber schwerer um enge Kurven. Außerdem brauchst du für Wheelies mehr Kraft und Technik. Ein kürzeres Bike ist wendiger auf technischem Terrain und lässt verspielten Ridern mehr Freiraum. Auf Highspeed-Passagen fühlt es sich allerdings ein wenig nervös an. Das Strive zum Beispiel, das bereits die Enduro World Series gewonnen hat, ist mit 480 mm bei Größe Medium 20 mm länger als das Allround-Bike Spectral.
Es gibt also kein richtig oder falsch. Es kommt einfach darauf an, was für dich und deinen Fahrstil besser passt.
Warum ist der Stack bei Mountainbikes wichtig?
Nachdem du dich für eine Länge entschieden hast, musst du nun herausfinden, wie hoch der vordere Teil deines Bikes sein soll. Mit der Lenker-, Vorbau- und Spacer-Auswahl kannst du die Höhe deines Cockpits enorm beeinflussen. Der Stack gibt dir den Ausgangswert für die Höhe des Cockpits am Rahmen. Er wird vom Tretlager vertikal bis zum oberen Ende des Steuerrohrs gemessen. So erhältst du die Höhe des Lenkers in Relation zur Position deiner Füße. In der Vergangenheit wurde die Oberrohrlänge als entscheidend herangezogen. Dafür musste man aber Berechnungen anstellen, wie hoch das Oberrohr im Verhältnis zum Tretlager ist und wie viel Grad der Lenkwinkel hat. Der Stack ist ein vereinfachter Wert, der all diese Kriterien miteinbezieht.
Ändert sich der Stack bei den verschiedenen Mountainbike-Disziplinen?
Cross-Country Bikes, wie das Weltcup Gewinner-Bike Lux haben einen niedrigeren Stack. Mit 582 mm beim Medium-Rahmen gehört es zu den flacheren Bikes. Das kommt daher, weil niedrige Lenker es einem erlauben, mehr Gewicht auf das Vorderrad zu bekommen. So bleibt es auf dem Boden und Rider können beim Uphill voll attackieren. Auf der anderen Seite haben Freeride Bikes wie das Torque mit 632 mm einen höheren Stack, damit sie einem bergab mehr Sicherheit geben. Ein Trailbike wie das Neuron liegt mit 614 mm in der goldenen Mitte, sodass man das beste beider Welten vereinen kann.
Wie beeinflusst der Lenkwinkel das Fahrverhalten?
Der Lenkwinkel gibt Aufschluss darüber, wie sich ein Bike beim Lenken anfühlt. Während Sitzrohr, Reach und Stack die Basics für ein für dich passendes Bike bilden, geht es beim Lenkwinkel schon mehr um die Performance.
Was bedeutet ein steiler oder flacher Lenkwinkel?
Wenn du das Lux mit dem Weltcup gewinnenden Downhill Bike, dem Sender, vergleichst, wird der Unterschied deutlich. Das Lux hat mit 68,5 Grad schon einen sehr steilen Lenkwinkel. Gerade im Cross Country-Bereich ist dies ein wichtiger Faktor, denn so lässt sich das Bike uphill leichter steuern. Allerdings geht man hierfür den Kompromiss ein, dass das Bike mit zunehmender Geschwindigkeit ein wenig unruhiger wird.
Das Sender hingegen ist für pure Downhill-Action konzipiert und hat mit 63 Grad einen eher flachen Lenkwinkel. Das macht den gesamten vorderen Teil des Bikes ruhiger und verleiht Ridern somit bergab mehr Sicherheit. Außerdem macht ein flacher Lenkwinkel das Bike insgesamt länger, was ihm mehr Stabilität verleiht. Würde man das Sender bergauf treten, wird schnell klar, dass es sich beim Lenken etwas träge anfühlt und um enge Hindernisse etwas schwerfälliger herumkommt.
Welchen Lenkwinkel sollte ein Trailbike haben?
Zwischen diesen beiden Extremen gibt es beim Lenkwinkel einige Nuancen. Das Spectral und das Neuron sind zwar beide Trailbikes, aber wenn man sich den Lenkwinkel ansieht, kann man einen klaren Unterschied erkennen. Beim Neuron ist der Lenkwinkel mit 67 Grad ähnlich wie beim Lux eher steil, was klar zeigt, dass dieses Bike für Rider entwickelt wurde, die eher Cross Country unterwegs sind. Bergab eignet sich das Spectral mit 64 Grad besser und unterscheidet sich nur um ein Grad vom Sender.
Brauche ich eine lange oder kurze Kettenstrebe?
Die Länge der Kettenstrebe spielt eine große Rolle für die Laufruhe oder Wendigkeit deines Bikes. Während unruhiges Fahrverhalten wie etwas Negatives klingen mag, ist es für verspielte Fahrer absolut entscheidend. Wenn du ein komplett stabiles Bike hättest, wärst du wie auf Schienen unterwegs und könntest es kaum selbst bewegen. Das heißt, jedes Bike braucht einen gewissen Grad an Instabilität. Die Frage ist nur: Wie viel?
Grundsätzlich kann man sagen, dass Bikes mit kürzeren Kettenstreben wendiger sind und verspielte Rider eher hierzu tendieren, während lange Kettenstreben einem Bike Laufruhe auf Highspeed-Passagen verleihen. Rider, die oft Wheelies poppen, Manual cruisen und Lines carven, entscheiden sich lieber für kürzere Kettenstreben, während jeder Millimeter mehr zusätzlichen Kraftaufwand erfordern würde. Für schnelle Downhill-Tracks sind Bikes mit längerer Kettenstrebe besser geeignet.
Welche Bikes haben kürzere und welche längere Kettenstreben?
Ein Racebike wie das Sender wurde für Highspeed entwickelt und hat mit 445 mm recht lange Kettenstreben. Cross Country-Racer bevorzugen kürzere Kettenstreben — zum Beispiel 432 mm beim Lux —, denn so wird das Bike manövrierfähiger, steifer und effizienter.
Bei manchen unserer Bikes haben wir die Kettenstrebenlänge an bestimmte Fahrstile angepasst. Zum Beispiel gibt es das Spectral in drei Versionen — 29, 27,5 und Mullet. 29er haben vorne und hinten 29 Zoll Laufräder, was dem Bike ein ruhiges Fahrverhalten verleiht, während Mullet-Bikes und Bikes mit 27,5 Zoll Laufrädern eher für verspielte Fahrer gedacht sind. Dazu passend haben die 29er Spectral 437 mm Kettenstreben für mehr Stabilität und die 27,5- bzw. Mullet-Versionen 432 mm für bessere Wendigkeit.
Warum sind die Kettenstrebenlängen bei E-MTBs so unterschiedlich?
Elektro-Mountainbikes neigen dazu, etwas längere Kettenstreben zu haben, weil es der Motor einem erlaubt, steilere Uphills in Angriff zu nehmen als auf unmotorisierten Bikes. Längere Kettenstreben verteilen bei E-Bikes das Gewicht über dem Hinterrad besser und helfen dabei, das Bike unter Kontrolle zu halten. Deshalb hat das Spectral 29 eine 437 mm und das Spectral:ON eine 440 mm Kettenstrebe.
Ist ein steiler Sitzwinkel besser?
Der Sitzwinkel gibt Aufschluss darüber, ob ein Bike eher für steiles oder flaches Gelände geeignet ist. Ein flacher Sitzwinkel verteilt das Gewicht auf dem Bike eher weiter hinten, sodass deine Handgelenke auf flachem Terrain entlastet werden. Steilere Sitzwinkel sorgen im Flachen für vorwärtsorientiertes Fahrverhalten und geben mehr Druck auf den Lenker. Sobald es bergauf geht, sitzt man am besten zentral auf dem Bike, damit sich die Traktion auf den Reifen gut verteilt.
Wie ändert sich der Sitzwinkel bei den verschiedenen Mountainbike-Disziplinen?
Bikes wie das Strive, das für Enduro-Racing entwickelt wurde, haben steilere 78-Grad Sitzwinkel, während das Lux mit seinem Fokus auf Cross Country flachere 75 Grad aufweist.
Wie fühlen sich all diese Unterschiede in der echten Welt an?
Wenn du wissen möchtest, wie sich diese Unterschiede auf dem Bike anfühlen, kannst du eines unserer Experience Centres besuchen. Unser freundliches und kompetentes Personal wird dich umfassend beraten und dir eine Testfahrt anbieten:
Wenn dir das nächste Experience Centre zu weit weg ist, kannst du dem Canyon Social Media Account deines Landes folgen und so herausfinden, wann und wo unsere Demo Events stattfinden. Unsere nationalen Teams sind viel unterwegs, damit allen die Möglichkeit geboten ist, unsere Bikes zu testen.
Über Matt Wragg
Matt Wragg ist ein freiberuflicher Fotograf, Redakteur und Bike-Enthusiast aus Nizza, Frankreich. Nach seinem ersten Ride auf einem echten Mountainbike, als er 14 war, war er angefixt. Wild erfolglose Versuche bei Cross County-, Trial-, Four Cross und Downhill-Wettbewerben folgten wenig später. Nachdem er 2004 seinen BA in Englisch auf der University of Birmingham absolvierte, war er Kommunikationsberater in Birmingham und London.
2009 beschloss er, dass das nicht der richtige Weg für ihn war, packte seine Sachen (inklusive Bike) und machte eine Auszeit in Neuseeland. Seither ist er in Kanada, Italien, Frankreich und überall dort unterwegs, wo Trails zu finden sind und er seiner Berufung als Fotograf und Redakteur nachgehen kann. 2021 wurde bei ihm Autismus festgestellt, womit er aber seinen Frieden geschlossen hat. Sein Keller ist das Zuhause von mehreren Bikes — von Freeride und Enduro Bikes bis hin zu Rennrädern, Gravel Bikes und einem Lastenfahrrad. Zu seinen größten Erfolgen zählt er, in seinem Leben genug Zeit dafür zu haben, sie alle zu fahren.
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Über den Autor
Matt Wragg
Lerne Matt Wragg kennen, den freiberuflichen Fotografen, Autor und selbsternannten Fahrrad-Zerstörer aus Nizza, Frankreich. Trotz erfolgloser Versuche bei XC-, Trial-, 4X- und DH-Rennen hat Matts Leidenschaft für das Mountainbiken nie nachgelassen. Nach einer Zeit in der Kommunikationsberatung beschloss er, seiner Liebe zum Radsport nachzugehen und zog nach Neuseeland. Seitdem hat er die Welt bereist, Trails gejagt und eine erfolgreiche Karriere als Radsportfotograf und -autor aufgebaut. Im Jahr 2021 wurde bei ihm Autismus diagnostiziert, mit dem er seither leben lernt. Sein Fahrradkeller ist ein echtes Zeugnis seiner Liebe zum Radsport und beherbergt Fahrräder, die von Freeride bis Cargo reichen.